Arbeit

Nach mir die Sintflut ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird.“ - Karl Marx

Aus dieser von Marx formulierten Erkenntnis leitete sich der Fundamentalsatz der italienischen Arbeitermedizin ab: „Es gibt nur eine Gruppe in der Fabrik, die ein unmittelbares Interesse hat, die Gesundheit des Arbeiters zu schützen: nämlich die Arbeiter selbst.“

Vor diesem Hintergrund entwickelte die italienischen ArbeiterInnenklasse auf Grundlage einer subjektwissenschaftlichen Perspektive in den späten 1960er Jahren ein neues epidemiologisches Modell zur Erforschung von Produktionsverhältnissen und deren Auswirkung auf Gesundheit.

Ein striktes Gebot der Nichtdelegierung führte dazu, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter in den entstehenden Fabrikräten um das Thema Gesundheit organisierten und v.a. begannen eigene Erhebung zum Thema durchzuführen. Es gründete sich die sogenannte Arbeitermedizin, welche einen beträchtlichen Anteil an der Entstehung des modernen Gesundheitsschutzes der Arbeiter*innen haben sollte.

Knapp 50 Jahre später, sind viele Fabriken in denen eine starke Arbeiterinnenmacht organisiert werden konnte, aus Europa in den globalen Süden verlagert worden. Nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Arbeitsmarktreformen herrschen vielerorts flexibilisierte Arbeitsverhältnisse. Outsourcing, Standortverlagerung, prekäre Arbeit ohne Tarifvertrag zu Niedriglöhnen und eine Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort ist die kennzeichnende Strategie des neoliberalen Rollback.

Was hieße es in Zeiten von „Atmenden Fabriken“, „just in time Produktion“, neuen digitalen Arbeitnehmerüberwachungssystemen, von „Desk-Sharing“, „Bring your own device“, und „Crowdworking“, eine kollektive Forschungsperspektive zum Thema Gesundheitsschutz zu entwickeln? Wie sähe heute eine standardisierte Form der Berichterstattung aus der organisierten Traurigkeit der Arbeitsverdichtung, des Dauerstresses unter den beschleunigten Arbeitsabläufen, der ständigen Erreichbarkeit und der Flut von Wissen, der Einsamkeit durch Roboterisierung und der entgrenzten Arbeit (Work-Life-Blending) aus? Gesundheit wird heute im Kontext von Lohnarbeit zunehmend als private Resource und Investitionsgut des oder der Einzelnen angesehen.

Es wird Zeit für einen gesellschaftlichen Aufbruch zur Repolitisierung des Themas Gesundheit und einer Arbeiter*innenmedizin 2.0. Denn noch sind wir weit entfernt von einer nicht entfremdeten und dann hoffentlich gesundheitsförderlichen Arbeit oder Tätigkeit...

„...in der kommunistischen Gesellschaft, wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mit eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, ohne je Jäger, Fischer oder Hirt oder Kritiker zu werden, wie ich gerade Lust habe.“