Präventionsprojekte

In der Poliklinik arbeiten wir daran, einen an der Lebenswelt der Menschen orientierten Präventionsbegriff zu entwickelt. 

Wir verstehen die Poliklinik dabei als einen Ort des Treffpunkts und Austausches, der Bildung und der kulturellen Aktion. 

Gemeinsam mit den Nutzer*innen der Poliklinik und unseren Kooperationspartner*innen entwickeln wir Präventionsprojekte, die auch die sozialen Verhältnisse mit in den Blick nehmen.

Armut macht krank.

Das weiss jedes Kind. Die WHO geht weiter und verkündet: „Social injustice is killing people on a grand scale“. 

Soziale Ungleichheit tötet Menschen in einem großem Ausmaß. 

Auch in Hamburg leben reiche Menschen durchschnittlich zehn Jahre länger als arme Menschen. Je ärmer man ist, desto schwieriger sind die Lebensbedingungen. 

Steigende Mieten, geringes Einkommen und Armut, unsichere Jobs und Arbeitslosigkeit, Rassismus und Diskriminierung machen krank; dagegen helfen auch keine gesunde Ernährung oder viel Sport.

Dass soziale Ungleichheit krank macht und dass der sozioökonomische Status eines Menschen die Lebensdauer mitbestimmt sind keine Neuigkeiten – in der alltäglichen Gesundheitsversorgung und -vorsorge spiegeln sich diese Tatsachen in der Regel allerdings nicht wieder.

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gab es erste wissenschaftliche Untersuchungen. Friedrich Engels beschrieb in seinem sozial-epidemiologischen Pionierwerk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“, die katastrophalen Bedingungen unter denen Arbeiter in Manchester krank wurden und starben. Im frühen 20. Jahrhundert folgte mit „Krankheit und soziale Lage“ von Max Mosse und Gustav Tugendreich ein erster deutscher Sammelband zum Thema. Bereits hier wurde erkannt, dass Unterschiede in Morbidität und Mortalität nicht einfach mit unterschiedlich verbreiteten gesundheitlichen Lebensstilen oder gar genetischen Mustern erklärt werden können.  

Die von Michael Marmot und seinem Team 1967 initiierte quantitative Untersuchung, die Whitehall Study, kommt zu einem gleichen Ergebnis. Die gesundheitlichen Ungleichheiten haben ihre Ursache in der Gesellschaft, den „sozialen Determinanten von Gesundheit“. Auch aktuelle Studien des Robert Koch Instituts (KiGGS und GEDA) liefern die gleiche redundante Evidenz. Unterschiede in der gesunden Lebenserwartung sind auch in Deutschland abhängig vom sozio-ökonomischen Status der Menschen.

Welche Konsequenzen werden aber aus dem Beschriebenen gezogen?

Das sozialpolitische Credo des Berliner Arztes Salomon Neumann hieß schon vor mehr als hundert Jahren: „Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die Politik ist nichts weiter als Medizin im Großen“.  Die Ottawa Charta forderte 1986 eine „gesunde öffentliche Politik“ als Schlüsselbereich einer modernen Gesundheitsförderung. Die Europäische Union formulierte 2006 das Konzept Health in All Policies (HiAP) um eine bessere Gesundheit für alle Menschen zu erreichen. Gesundheitspolitische Überlegungen sollten also von nun an gleichwertig neben beispielsweise ökonomischen Überlegungen stehen.

Eine konsequente Umsetzung dieser Prämisse auf Europäischer, Bundes- oder Landesebene sucht man leider vergeblich. 

Denn diese müsste und dies sei hier nur beispielhaft aufgeführt, folgendes bedeuten:

  • Eine radikale Arbeitszeitverkürzung 
  • Ein konsequenter Ausbau eines kostenlosen ÖPNVs
  • Mehr öffentliches und gemeinnütziges Wohneigentum
  • Eine Angleichung der Löhne durch ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Erhöhung des Mindestlohnes, sowie einer progressiven Besteuerung (Vermögenssteuer, Erhöhung der Grunderwerbssteuer und des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer)
  • Affirmative Action Programme zur Bekämpfung von Rassismus, Sexismus und Diskriminierung (Quotenregelungen, Diversity Trainings, Transferleistungen, Stipendien)

Projekte zum Thema Mobilität, Wohnraum, Arbeitslosigkeit, Stress durch Lohn- und Reproduktionsarbeit und zur Etablierung einer Willkommenskultur werden eine neue Form der Verhältnisprävention im Gesundheitsbereich etablieren.

Im Kampf gegen gesundheitliche Ungleichheiten spielt die primärmedizinische Versorgung nur eine untergeordnete Rolle.

All das begründet unsere Motivation, in der Poliklinik einen an der Lebenswelt der Menschen orientierten Präventionsbegriff zu entwickeln.